New World 1: Die Flucht

 

Vor vielen Jahren landeten Menschen, die die Erde verlassen wollten, auf dem Planeten „New World“, um zu siedeln. Im ersten Augenblick kam ihnen die neue Welt vor wie ein Paradies. Die „Ureinwohner“, die sogenannten Spackles, waren friedlich, Tiere können sprechen, das Land bot allen Siedlern genug Platz. Doch dieses Gefühl täuschte. Denn es lag etwas in der Luft – und dieses Etwas bewirkte, dass plötzlich die Gedanken aller Männer hörbar wurden; dem „Lärm“ kann sich keiner entziehen, er ist immer gegenwärtig. Nun, einige Jahre später, besagt die Historie, dass die Spackles einen Virus freisetzten, der dieses Hörbarmachen auslöste und alle Frauen tötete. Dadurch kam es zum Krieg und alle Spackles wurden vernichtet.

 

Todd Hewitt ist 12 Jahre alt und lebt in Prentisstown. In dieser Stadt gibt es nicht mehr viele Einwohner, ganze 147 an der Zahl – nur Männer. Todd fiebert seinem 13. Geburtstag entgegen, denn dann wird er zum Mann und ist nicht mehr der einzige Junge im Ort. Doch wenige Tage vor seinem Geburtstag macht er in den Sümpfen eine seltsame Entdeckung. Nahe eines abgestürzten Raumschiffes entdeckt er ein Mädchen. Und ab diesem Moment steht sein Leben auf dem Kopf. Ben und Cillian – seine Ziehväter, die ihn nach dem Tod seiner Eltern auf ihrer Farm aufnahmen – schicken ihn weg. Warum, kann er nicht verstehen. Es sei zu seinem Schutz. Doch seine Flucht wird entdeckt. Der Bürgermeister und seine Schergen überfallen die Farm, er selbst wird von Prediger Aaron verfolgt. Ihm zur Seite stehen nur sein Hund Manchee und Viola, das fremde Mädchen. Auf dieser Flucht erfährt er die Wahrheit über seine Heimat, seine Familie und das Leben auf New World. Und diese Wahrheit bringt ihn nahe an den Rand der Verzweiflung.

 

Das Buch hat mich von der ersten Seite an gepackt und nur schwer losgelassen. Der Gedanke an ein Leben auf einem fremden Planeten scheint sehr reizvoll, auch, dass Tiere sprechen können ist eine spannende Überlegung. Doch dass ein Neuanfang nicht immer hält, was er vermeintlich verspricht, lernt man durch dieses Buch.

 

Der Schreibstil wirkt einfach (was er aber nicht ist) und erzählt die Geschichte aus der Sicht von Todd. Damit hat Patrick Ness es geschafft, dass der Leser Todds Gefühle, Gedanken und Ängste hautnah spürt und miterlebt. Todd und Manchee sind zwei absolut liebenswerte Charaktere – der Hund Manchee mutet manchmal menschlich an, was daran liegt, dass er spricht (auch wenn er eher einfach gestrickt ist). Beide entwickeln sich im Laufe des Buches weiter. Todd, der eher behütet aufwuchs und plötzlich auf sich allein gestellt ist, Verantwortung übernehmen muss und erwachsen wird. Manchee, der junge Hund, der spielen, jagen und fressen will, wird zu seinem wichtigen Begleiter und wächst über sich selbst hinaus. Viola, das junge fremde Mädchen, muss erst damit umzugehen lernen, Gedanken anderer zu hören und auf einem fremden Planeten völlig allein zu sein. Auch sie wird eine wichtige Begleiterin für Todd, für die er sogar sein Leben riskiert.

 

Die Flucht der beiden ist abenteuerlich und gönnt den Protagonisten keine Pause. Als Leser fiebert man bei allen Gefahren mit und möchte eingreifen oder sie warnen. Das Ende ist fast schon überraschend, obwohl man eigentlich damit hätte rechnen müssen, gibt es doch noch zwei weitere Teile der New World-Serie. Es endet (natürlich) mit einem offenen Schluss, der die Spannung auf die Fortsetzung erhöht.

 

Ich würde dieses Buch nicht als Jugendbuch einordnen, dafür ist es teilweise zu brutal. Man muss sich auf den speziellen Schreibstil des Autors einlassen können. Mich persönlich hat es sehr begeistert, ich kann es uneingeschränkt weiter empfehlen.

 

Dezember 2012

Ravensburger, ISBN 978-3473584130

Taschenbuch, 544 Seiten

VÖ: August 2012

 

New World 2 – Das dunkle Paradies

 

Auf der Flucht vor dem Prediger Aaron wird Viola schwer verletzt. In letzter Minute schafft Todd es, sie nach Haven zu bringen – die Stadt, die Rettung verspricht. Doch sie kommen zu spät: Bürgermeister Prentiss und seine Schergen haben die Macht in der Stadt übernommen. Mit einer flammenden Rede und vielen Versprechungen, aber auch mit Drohungen, hat er die Menschen in Haven dazu gebracht zu kapitulieren. Als erste „Amtshandlung“ konfisziert der selbst ernannte Präsident die Medizin, die den Lärm unterdrückt. Und als nächstes trennt er Männer von Frauen. Todd, der ja die Wahrheit über seine frauenlose Heimatstadt kennt, ahnt Schreckliches. Er wird getrieben von seiner Angst um Viola und würde alles tun, um sie zu retten – ja, um überhaupt zu erfahren, ob sie noch lebt.

 

Doch manche der Frauen, allen voran die Heilerinnen um Mistress Nicola Coyle, können fliehen und schließen sich zur Untergrundorganisation „Die Antwort“ zusammen. Heimlich unterstützt von abtrünnigen Soldaten und ihren Ehemännern versuchen sie, Präsident Prentiss zu stürzen. Beide Seiten kämpfen erbarmungslos und müssen Verluste in Kauf nehmen. Vor allem, da die neuen Siedler näher kommen und sowohl Prentiss als auch die „Antwort“ diese in Empfang nehmen und von ihrer „Rechtschaffenheit“ überzeugen wollen.

 

„Das dunkle Paradies“ knüpft nahtlos an den Vorgänger an. Endete dieser mit einem Cliffhanger, wird man hier schon auf den ersten Seiten von der hinterlassenen Spannung erlöst. Trotzdem ist dieser Band wesentlich düsterer als der erste. Das Leben in der Stadt ist geprägt von einer tiefen Hoffnungslosigkeit, die Menschen können einander nicht mehr vertrauen. Die Schrecken des beginnenden Krieges sind sehr gut dargestellt, man blickt in die Abgründe der Menschen. Manche Handlungsweisen kann man als Leser nachvollziehen, manche sind erschreckend und andere kann man nur mit einem Kopfschütteln beobachten.

 

Die Charaktere haben sich sehr gut weiter entwickelt. Allen voran Todd, der auf seiner Flucht erwachsen wurde und nun weiterhin Entscheidungen treffen und zu diesen stehen muss. Auch Davy Prentiss, im ersten Teil immer damit beschäftigt, seinem Vater zu gefallen und skrupellos alles zu tun, was dieser von ihm fordert, verändert sich stark.

 

Wurde die Geschichte im ersten Band nur aus Todds Sicht erzählt, kommt dieses Mal auch Viola zu Wort. Auch andere „Änderungen“ zum ersten Teil haben diesen Band zu etwas Besonderem gemacht: In „Die Flucht“ mussten Todd und Viola ihre Welt erst erkunden und sich Gefahren stellen. „Das dunkle Paradies“ dagegen spielt hauptsächlich in Haven – bzw. New Prentisstown, wie es nach der Machtergreifung durch Bürgermeister Prentiss nun heißt – und der nahen Umgebung. Waren die beiden auf sich allein gestellt, müssen sie nun in einer Gruppe agieren, denn alle ihre Handlungen betreffen auch andere Personen. Gut und Böse ist definitiv nicht klar erkennbar, bei genauerem Hinsehen vermischt sich beides und vermeintlich Gutes ist dies nicht immer.

 

Patrick Ness hat es auch mit diesem Band geschafft, mich völlig in seinen Bann zu ziehen. Das Buch bewegt, macht nachdenklich. Es ist düster und birgt aber doch noch immer einen kleinen Funken Hoffnung. Das Ende ist (natürlich) wieder offen, so dass ich nun auf den letzten Teil der Trilogie fiebere. Und ich bin nach wie vor der Meinung, dass es für ein Jugendbuch zu brutal ist.

 

März 2013

Ravensburger, ISBN 978-3473584307

Taschenbuch, 576 Seiten

VÖ: Januar 2013

 

New World 3: Das brennende Messer

 

Die Fronten zwischen „Der Antwort“ und den Soldaten um Präsident Prentiss verhärten sich immer mehr. Beide Gruppen wollen die neuen Siedler auf ihre Seite ziehen, von denen inzwischen ein weiteres Erkundungsschiff in New World gelandet ist. Und als wären diese Streitigkeiten nicht genug, mischt sich noch eine dritte Macht in den beginnenden Kampf ein – die Spackle haben sich zusammen geschlossen und wollen ihren Planeten endlich von den Eindringlingen befreien. Auch für Todd und Viola werden die Umstände immer schwieriger: Todd steht immer mehr unter dem Einfluss des Präsidenten und weiß nicht mehr, ob dieser nun wirklich so abgrundtief böse ist oder es doch nur gut meint. Währenddessen kämpft Viola infolge einer Infektion um ihr Leben. Und zwischen all diesen Befindlichkeiten versuchen die Parteien alles, um den Krieg zu verhindern – oder zu forcieren?

 

Was für ein Abschluss für diese packende und grandiose Trilogie! Gut und Böse sind nicht mehr so leicht auseinander zu halten. Präsident Prentiss, der Unsymphath der beiden ersten Teile, zeigt menschliche Züge, scheint sogar seine Taten stellenweise zu bereuen. Und Mistress Coyle, die vorgeblich den Planeten und die Menschen retten will, geht über Leichen, um ihren Willen durchzusetzen. Mittendrin in diesem Chaos stehen Todd und Viola, hin- und hergerissen zwischen ihren Gefühlen für einander, ihren Freunden und Feinden. Sie müssen Entscheidungen treffen, denn ungewollt haben sie Verantwortung übernommen für andere Leben außer ihren eigenen.

 

Kamen in den beiden Vorgängerbänden erst nur Todd und dann zusätzlich noch Viola zu Wort, lernen wir nun noch einen weiteren Bewohner von New World besser kennen. Ein Spackle tritt in den Vordergrund und wir lesen die Geschehnisse aus seiner Sicht. Doch es ist nicht nur ein Spackle, sondern Nr. 1017 und mit ihm das „Land“, die Gemeinschaft aller noch lebenden Spackle. Nun sind die Spackle nicht mehr nur die vertriebenen und unterdrücken Ureinwohner, die keiner wirklich einzuschätzen weiß. Sie bekommen ein Gesicht und eine Stimme – und allen voran Gefühle.

 

Auch im dritten Band bleiben Schreib- und Sprachstil von Patrick Ness auf einem sehr hohen Niveau. Die Charaktere sind weiterhin lebendig und authentisch und haben sich nochmals weiter entwickelt. Auch die Geschichte selbst hat einen Entwicklungsschub bekommen und dreht sich um ein neues Thema. Somit hat der Autor es geschafft, drei völlig verschiedene Themen in einer Reihe zu verknüpfen, die ohne Logikfehler zusammenpassen und aufeinander aufbauen. Der Faden von Teil 2 zu Teil 3 wurde nahtlos weiter gesponnen und das Ende war unvorhersehbar und fulminant. Abgeschlossen und doch offen, aber mit einem Funken Hoffnung.

 

Diese Trilogie ist für mich ein absolutes Highlight und ich kann sie uneingeschränkt empfehlen. Schade, dass die Reihe in Deutschland keinen so hohen Anklang gefunden hat und somit recht unbekannt ist.

 

Oktober 2013

Ravensburger, ISBN 978-3473353255

Taschenbuch, 640Seiten

VÖ: September 2010