Skin

 

Christian hat es geschafft. Das Studium ist beendet und er hat einen tollen Job bei ECC ergattert. Dass er Überstunden machen, in der Weltgeschichte herumreisen und immer verfügbar sein muss, stört ihn dabei nicht so arg. Obwohl seine Beziehung zu Freundin Nicole darunter leidet. Doch eines Tages erhält er eine E-Mail mit einem Link zu einer verstörenden Seite. Obwohl er geschockt ist, ignoriert er die Mail … doch es sollen weitere Folgen. Er kann und will sich niemandem anvertrauen und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Als er endlich seinen Vater, einen erfolgreichen Anwalt, um Hilfe bittet, scheint es schon zu spät zu sein und er steht im Fadenkreuz der Ermittler der Berliner Polizei.

 

Was der Klappentext an Spannung versprach, hat der Prolog zu Beginn schon einmal gehalten. Wie man es von Veit Etzold bereits kennt, hat er hier die beängstigende Stimmung gut eingefangen und beschrieben: Die verschmutzte, chaotische Wohnung, die Fliegenschwärme, der Gestank. Auch die Beklemmung der Person in der Wohnung, die im Bad einen Toten findet, konnte man förmlich spüren.

 

Danach ging es erst einmal gemächlicher weiter. Ich lernte Christian – den Protagonisten kennen – und man konnte einige Details zu ECC und über seinen Job erfahren. Auch die engsten Kollegen Christians waren sehr präsent, in einem anderen Handlungsstrang traten Frank Deckhard und seine Kollegin Sophie auf den Plan. Doch auch nach den ersten ca. 100 Seiten passierte nicht mehr viel, die Handlung plätscherte eher so dahin, drehte sich weiterhin hauptsächlich um ECC … und dann kam die erste Mail an Christian und ein erster Toter wurde aufgefunden. Trotzdem wurde das Buch nicht rasanter. Worüber ich eigentlich hätte hinwegsehen können. Wären da nicht die Hauptpersonen der Story gewesen:

 

Christian hat sich in meinen Augen ziemlich schnell zu einem extrem nervigen Charakter entwickelt. Naiv, planlos, stellenweise richtig dämlich. Sicherlich ist man geschockt, wenn man per Mail ein Filmchen erhält, in dem ein Toter auftaucht – noch dazu, wenn dieses Filmchen echt zu sein scheint. Passiert so etwas ein weiteres Mal, würde ich mir überlegen, dies der Polizei zu melden. Ein anderes Mal nimmt er von einem (bisher ihm nicht bekannten) Kollegen Pillen an, die ihm helfen sollen, wach und fit zu bleiben für eine Präsentation … Kann man annehmen, muss man dann aber nicht zwingend auch noch schlucken. Und von einem wildfremden Hacker, der mir von einer Kollegin empfohlen wurde, würde ich auch keine Pillchen annehmen und diese dann nehmen. Und hinterher sollte man sich schon gar nicht wundern, wenn man Halluzinationen oder sonstige Nachwirkungen hat. Aber gut. Christians Vater ist ebenfalls ein eher gewöhnungsbedürftiger Charakter. Knallhart in seinem Beruf scheint er auch außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen, um seine Klienten gut zu bedienen. Von Dritten bekommt Christian Infos über dessen Methoden zugeflüstert, die ihm gänzlich unbekannt waren – mit dem Ergebnis, dass er seinem Vater auch nicht mehr wirklich vertraut, aber trotzdem seine Hilfe benötigt. Ein anderer Charakter, der (leider) nur zu Beginn sympathisch war, war Frank Deckhard. Ein Ermittler, der nicht drogen- oder alkoholabhängig ist oder sonstige Problemchen mit sich herumschleppt – das war schon mal positiv. Leider stellte er sich im Laufe der Geschichte als ziemlich verbissen und stur heraus; eigentlich auch keine so schlechten Eigenschaften für einen Ermittler, aber es war schon schwer zu lesen, dass er sich gleich einen Hauptverdächtigen rausgeschaut hat und von dieser Meinung nicht abgehen wollte.

 

Aber nun mal ein paar positive Punkte: Die Story an sich war wirklich gut. Die verschiedenen Erzählstränge haben meiner Meinung nach dazu beigetragen, eine Spannung herbeizuführen. Auch die eindeutig beschriebenen Morde oder Tatorte waren einfallsreich. Auch muss ich sagen, dass ich bei allen Spekulationen nicht auf die Lösung gekommen wäre und der Prolog (wie weiter oben schon erwähnt) war wirklich gut. Leider haben dann ein paar Ungereimtheiten (manche Erklärungen kamen mir sehr konstruiert und weit hergeholt vor) diese positiven Aspekte wieder relativiert.

 

Pluspunkte für die Story, Minuspunkte für die Umsetzung. Vielleicht für die nächste Auflage noch mal überarbeiten … Dann wird „Skin“ sicherlich genauso begeistern wie die Clara Vidalis-Reihe.

 

Juli 2016

Bastei Lübbe, ISBN: 9783404173754

Taschenbuch, 416 Seiten

VÖ: Juli 2016